Monday, January 2, 2012

Eine etwas andere Weihnachtsgeschichte...


Wir schreiben den 23. Dezember 1916.
Wir befinden uns im zweiten Kriegsjahr des großen Krieges.
Seit zwei Tagen liegen wir in Frankreich. Seit zwei Tagen schießen wir ununterbrochen und hören nur das Trommelfeuer. Seit zwei Tagen Trommelfeuer. Seit zwei Tagen schießen wir, erobern den nächsten Graben, schießen wieder und werden am Ende doch wieder in unseren alten Graben zurückgedrängt.
Seit zwei Tagen immer das gleiche.
Viele unserer Kameraden sind in diesem Trommelfeuer gefallen. Der Boden zwischen den Gräben ist bedeckt mit ihren Leichen. Doch wir wagen es nicht, sie zu bergen, wir haben Angst, dass es dann auch uns trifft.
Und so sitzen wir weiter in unserem Graben, schießen, ducken uns vor feindlichen Geschossen und warten auf das Signal zum erneuten Angriff.
Die ganze Nacht müssen wir warten.
Und dann graut der Morgen, der 24. Dezember, der Heilige Abend.
Es ist Weihnachten.
Doch dem Trommelfeuer ist es egal, es tobt, als gäbe es kein Fest, kein Weihnachten, keine Geburt Jesu.
Und dann ertönt, gar nicht weit von hier eine Geige. Ihre Töne dringen sanft durch das anhaltende Gebrüll der Geschütze.
Auch andere lauschen, immer mehr kriechen tiefer in den Graben zurück, wenden sich vom Schlachtfeld ab, ihre Augen suchen nach dem Geigenspieler.
Für einen Moment nimmt sogar das ewige Trommelfeuer ab. Alle lauschen gebannt, als der Geigenspieler ein Weihnachtslied spielt.
Erst nach und nach fällt uns auf, dass das Trommelfeuer wirklich schwächer wird. Nach einiger Zeit wagen wir einen Blick über den Rand unseres Grabens. Und tatsächlich halten die Schüsse ein, es scheint, als lauschten auch unsere Feinde gebannt dem Geigenspieler.
Als wir nach einiger Zeit nochmal über den Grabenrand blicken, sehen wir, wie sie ihren Graben verlassen, die Hände hebend, als Zeichen, dass wir sie nicht angreifen sollen.
Und so lassen wir sie kommen, die Gewehre im Anschlag zwar, doch noch nicht schießend.
Und als sie da sind, sagt einer der Soldaten – ein Franzose – in gebrochenem Deutsch, dass sie die Geige gehört hätten, und nicht auf einen Mann schießen könnten, der so schön Geige zu spielen vermag.
Die Franzosen scheinen keine Waffen dabeizuhaben, mit denen sie uns überraschen könnten.
Nach und nach wagen sich einige von unseren Soldaten aus dem Graben, und als wir sehen, dass sie nicht totgeschossen werden, folgen wir ihnen.
Immer mehr Soldaten kommen, nicht nur aus unserem Grabenabschnitt. Die Sache scheint sich herumgesprochen zu haben. Gemeinsam schaffen wir die Leichen weg, die immer noch zwischen den beiden Gräben liegen und versuchen, ihnen ein Grab zu bauen.
Dann setzen wir uns auf den Boden, lauschen wieder dem Geigenspieler, wie er seine Weihnachtslieder spielt. Manche singen sogar. Es ist erstaunlich, dass viele Weihnachtslieder in Frankreich und in Deutschland gleich sind – bis auf die Sprache natürlich.
Und nebenbei tauschen wir Geschenke aus, ein Stückchen Brot, eine Zigarette, denn mehr haben wir nicht zu verschenken.
Und so vergeht der Tag, gemeinsam sitzen wir an Lagerfeuern, Franzose an Deutschem, Feind an Feind.
Doch von Feindschaft ist nichts mehr zu spüren. Wir sitzen beieinander, erzählen Witze, lachen, zeigen Bilder von unseren Liebsten. Und trotz dem wir nicht die gleiche Sprache sprechen, können wir uns verstehen.
Doch als es Nacht wird, holt uns die Realität wieder ein, das Trommelfeuer trommelt wieder von weit weg und wir ziehen uns in die schützenden Gräben zurück.
Die Geige verstummt, die Lagerfeuer erlöschen.
Am nächsten Tag ertönt das Signal zum Angriff. Ohne Rücksicht auf die Freundschaften, die wir geschlossen haben, ohne Rücksicht auf den ersten Weihnachtsfeiertag, holt uns das Trommelfeuer wieder ein.